‚Post Corona‘ – Chancen für den Incoming-Tourismus
Vom Lockdown zum Lockerungsfieber – die Erwartungshaltung unserer Kunden weltweit, aber auch unserer Partner im Deutschlandtourismus ist hoch. Welche Einrichtungen können wann und unter welchen Bedingungen wieder in das öffentliche Leben zurückkehren?
In den nächsten Wochen werden in Deutschland immer mehr touristisch relevante Betriebe, darunter Gastronomie und Freizeiteinrichtungen, ihre Arbeit wiederaufnehmen können. Damit werden zugleich die Weichen für eine schrittweise Wiederbelebung des Incoming-Tourismus gestellt. Dabei steht fest: Auf absehbare Zeit wird die gesamte Tourismusbranche ‚mit Corona‘ leben und arbeiten.
‚Post Corona‘ bedeutet aus meiner Sicht demnach keine Rückkehr zu den Gewohnheiten, die unseren Alltag bis Anfang dieses Jahres prägten, sondern ein ‚New Normal‘ mit neuen Begrenzungen, Auflagen und Bestimmungen. Jede touristische Dienstleistung, jedes Unternehmen wird sich einem Check unterziehen müssen, wie es die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen für seine Kunden gewährleisten kann.
Daraus folgt, dass auch touristische Produkte in Deutschland, die wir im Ausland vermarkten, den bisherigen Erfahrungen aus der Corona-Krise und den daraus abgeleiteten künftigen Ansprüchen gerecht werden müssen.
‚Post Corona‘ – Chancen für den Incoming-Tourismus
‚New Normal‘ bedeutet aber auch Chancen. Geht es doch auch um veränderte Wertevorstellungen und Ansprüche der Kunden, Sicherheitsbedürfnis und Qualitätsbewusstsein.
Wenn wir im Sinne der customer centrification frühzeitig unsere Produkte und die Produktkommunikation entlang dieser Anforderungen neu justieren, entscheiden wir mit, ob die ‚Zäsur Corona‘ in eine tiefe langandauernde Krise führt oder zur Schwelle einer neuen Qualität wird.
In der letzten Kolumne habe ich skizziert, welche besonderen Herausforderungen sich für die Segmente Geschäfts- und Städtereisen entwickeln. Darin besetzt Deutschland im europäischen und globalen Wettbewerb exponierte Positionen – entsprechend groß sind die möglichen Einschnitte für unsere Incoming-Bilanz.
Heute möchte ich Sie einladen, die Chancen der Säule Natur und Erholung im Markenkern des Reiselandes Deutschland sowie den produktübergreifenden Aspekt Nachhaltigkeit unter den Vorzeichen von Covid 19 zu betrachten.
Vielfältig, intakt und einladend – Chancen für Naturlandschaften
Rund ein Drittel der Festlandsfläche von Deutschland steht in den über 130 Nationalen Naturlandschaften unter besonderem Schutz. 200.000 Kilometer ausgeschilderter Wanderwege und 70.000 Kilometer Radfernwege sind nur die prägnantesten Beispiele für die unendlichen Möglichkeiten, einen erlebnisreichen und naturnahen Aktivurlaub in Deutschland zu verbringen. Dazu kommen Trendsportarten und unzählige gute Ideen der Akteure in den Feriengebieten.
Auf der Nachfrageseite ist das Interesse an Natur- und Aktivurlaub in besonders volumenstarken Quellmärkten für das Deutschland-Incoming überdurchschnittlich ausgeprägt: So liegt laut IPK International der Marktanteil der Natur- und Aktivreisen bei Deutschlandurlaubern europaweit bei 17 %, bei Urlaubern aus den Niederlanden bei 28 %, aus der Schweiz bei 23 % und aus Polen bei fast 30 %.
Pause im Regelbetrieb – Chancen für Nachhaltigkeit
Schon vor Beginn der Corona-Krise konnten wir das Reiseland Deutschland unter Nachhaltigkeitsaspekten hervorragend positionieren: Wie 193 UN-Mitgliedsstaaten die vom UN-Nachhaltigkeitsgipfel 2015 definierten Global Goals for Sustainable Development erfüllen, spiegelt der SDG-Index wider, in dem Deutschland kontinuierlich unter den TOP 10 gelistet sind. Vier deutsche Städte zählen zu den TOP 20 im Sustainable Cities Index des Immobilien- und Entwicklungsunternehmens Arcadis. 13 deutsche Destinationen sind als Nachhaltiges Reiseziel von TourCert zertifiziert, die interaktive Karte auf www.germany.travel listet derzeit mehr als 1.000 nachhaltigkeitszertifizierte Unterkünfte und Gastronomiebetriebe deutschlandweit auf, 21 deutsche Städte haben sich der weltweiten Cittaslow-Bewegung angeschlossen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Mich beschäftigt in diesem Zusammenhang, ob diese Erfolge unter Corona-Bedingungen Bestand haben, ob sie möglicherweise auch Chancen bergen. Nach meiner festen Überzeugung lautet die Antwort: Ja.
Einen kompakten Überblick über den Aspekt Nachhaltigkeit für den deutschen Incoming-Tourismus bietet eine Spezialausgabe unseres Stakeholder-Magazins DZT 360°, dass online(PDF, 8,32 MB) verfügbar ist. Lohnenswert auch die zahlreichen Best Practices, die unsere Partner und die 16 Landesmarketingorganisationen beigetragen haben.
Die Experten von dwif Consulting betrachten in ihrer dwif_Corona-MindMap mittel- und langfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Destinationsmanagement. Absehbare akute negative Folgen sind ebenso Gegenstand der Untersuchung wie offene Punkte und die Frage, ob aus der Krise Gutes erwachsen kann. Neben vielen weiteren Aspekten analysiert die Mindmap auch das Thema Nachhaltigkeit. Kritisch sehen die Autoren einen plötzlichen Nachholeffekt in der Kundennachfrage, die zu Overtourism führen könnte. Offen bleibt die Frage der Akzeptanz des ÖPNV unter Hygienegesichtspunkten. Positive Perspektiven ergeben sich dagegen aus der Ruhepause für Fauna und Flora und neue Blickwinkel auf / gestiegene Sensibilität für Attraktionen und Natur. Solidaritätsaktionen mit Betrieben tragen zur Festigung der Kundenbeziehungen bei. Chancen sieht die Mindmap auch in der gestiegenen Loyalität von Mitarbeitern, die das Unternehmen auch in Krisenzeiten an Bord gehalten hat. Auch könnte die Krise Impulse für neue Mobilitätskonzepte sowie zur Lenkung von Besucherströmen geben. Insgesamt prognostizieren die Autoren einen neuen Naturboom und eine steigende Nachfrage nach naturnahen / Outdoor-Angeboten.
Trend zu Nahzielen – Chancen für den ländlichen Raum
Ich gehe davon aus, dass zunächst vor allem Individualtouristen aus Europa den Incoming-Tourismus wiederbeleben. Ein Grund dafür ist, dass der individuelle Pkw als Verkehrsmittel unter den Voraussetzungen eines ‚code of contact‘ unkompliziert genutzt werden kann. In öffentlichen Verkehrsmitteln – noch dazu im grenzüberschreitenden Verkehr – sind die notwendigen Vorkehrungen zwar deutlich aufwändiger. Allerdings werden Nachhaltigkeitsaspekte auch den Modalsplit der Verkehrsmittel in Zukunft stärker prägen. Die ökologisch verantwortungsbewusste Fortbewegung mit dem Verkehrsträger Schiene fördert bereits seit 2001 unsere Kooperation 'Fahrtziel Natur' mit der Deutschen Bahn und den großen Umweltverbänden.
Dazu kommt der dramatische Einbruch im Luftverkehr, der nicht so schnell zu kompensieren ist. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), Dirk Hoke erklärte in dieser Woche: "Wir rechnen für Ende 2022 oder Anfang 2023 mit einem Niveau des Flugaufkommens, wie wir es 2019 hatten".
Für den Incoming-Tourismus lässt sich daraus ableiten, dass Individualtouristen aus den Nachbarländern - eine Stabilisierung der Infektionszahlen und entsprechende bilaterale Abkommen oder gar eine europaweite Regelung vorausgesetzt - am ehesten wieder nach Deutschland reisen dürften. Fast 45 % der internationalen Übernachtungen in Deutschland kommen aus den direkten Nachbarländern. Rund die Hälfte der europäischen Deutschlandtouristen reiste bereits bisher mit dem eigenen Auto. Die individuelle Anreise mit dem Pkw öffnet automatisch den Horizont bei der Reiseplanung über den Radius öffentlicher Verkehrsmittel hinaus – Chancen auch für die Ferienziele jenseits der Metropolregionen.
The New Normal – Chancen für Hidden Champions
Zukunftsforscher, Strategieberater, Politik- und Wirtschaftsexperten, Brancheninsider und Querdenker aller Couleur beschäftigen sich heute aus unterschiedlichsten Perspektiven damit, wie das ‚neue Normal‘ aussehen könnte.
Ich lese das mit großem Interesse und entdecke in der Vielfalt der Theorien immer wieder Schnittmengen, aus denen sich gemeinsame Motive herauskristallisieren. Das Zukunftsinstitut macht ‚Gesellschaftliche Tiefenströmungen in Richtung Postwachstum, Wir-Kultur, Glokalisierung und Post-Individualisierung…‘ aus. Der Zukunftsforscher und Politikberater Dr. Daniel Dettling erläutert im Podcast von Gabor Steingart ‚Die Ära der achtsamen Glokalisierung… als Antwort auf eine nachwachsende Frage nach Heimat und Nachbarschaft‘.
Bezogen auf den Incoming-Tourismus sehe ich hier Rückenwind für Aspekte, die bisher nicht immer im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Trotzdem haben wir diese ‚Hidden Champions‘ analysiert, als Chancentreiber definiert und schon in den vergangenen Jahren immer wieder in unserem Themenmarketing ausgeleuchtet: Ländlicher Raum, Nachhaltigkeit, Tradition und Brauchtum, Regionalität und Saisonalität, Kulinarik.
Hier kommt es meines Erachtens darauf an, die Angebote noch prononcierter und zeitgemäß auch für potenzielle Deutschlandreisende aus dem Ausland in Szene zu setzen – unser Open Data-Projekt bietet dafür zusätzliche Möglichkeiten.
Kampagnenthemen – Chancen nutzen
Ich bin überzeugt: Das Produktportfolio, das wir im Deutschlandtourismus auch jenseits der Städte- und Kulturreisen in- und ausländischen Gästen zu bieten haben, ist breit gefächert, qualitativ hochwertig und mit den - aus heutiger Sicht vorhersehbaren - Ansprüchen an einen Tourismus ‚Post Corona vollständig kompatibel.
Es wird darauf ankommen, diese Produktstärken so zu kommunizieren, dass wir damit im Wettbewerb Profil gewinnen und eine nachhaltig starke Positionierung aufbauen.
Die Kampagnenplanung für dieses und das kommende Jahr entwickeln wir im Kontext der aktuellen Corona-Entwicklung. In der zweiten Jahreshälfte 2020 werden wir in europäischen Quellmärkten eine Naturkampagne #WanderlustGermany positionieren, die insbesondere Impulse für Deutschlands facettenreiche Ferienregionen setzt. An dieser Stelle gilt mein Dank insbesondere den Partnern vom Deutschen Wanderverband und vom ADFC für ihre Kooperationsbereitschaft.
Und wir sehen uns auf dem richtigen Weg mit den für das Jahr 2021 geplanten Kampagnen. Im Mittelpunkt der Kampagne German.Spa.Tradition steht die weltweit einzigartige Vielfalt der 350 prädikatisierten Heilbäder und Kurorte als Kompetenzzentren für Gesundheit, die neben reizvollen Landschaften und sauberer Luft ein vielseitiges Angebot an Freizeitaktivitäten, ausgesuchte Kunst- und Kulturangebote, die Möglichkeiten einer vielschichtigen gesunden Ernährung und eine angemessene Infrastruktur bieten. Teil der Kampagne ist auch die Würdigung des 200. Geburtstages von Sebastian Kneipp, der die Wasserkur weit über die Grenzen seiner bayerischen Heimat hinaus auch international bekannt machte. Diese Kampagne realisieren wir in Kooperation mit dem Deutschen Heilbäderverband (DHV). DHV- und DZT-Präsidentin Brigitte Goertz-Meissner hat gerade in einer aktuellen Pressemitteilung auf die Bedeutung der Heilbäder und Kurorte als systemrelevanten Bestandteil der Gesundheitswirtschaft hingewiesen.
Die geplante Imagekampagne German.Local.Culture soll Reisende inspirieren, auch die weniger bekannten kleineren städtischen Juwelen zu entdecken. Die Promotion der schönsten Kleinstädte in Deutschland stärkt auch die Vermarktung des ländlichen Raumes.
Mit der Lockerung des Lockdowns stehen die Zeichen für den Incoming-Tourismus auf ‚grün‘. Starten wir durch. Dazu lade ich Sie herzlich ein.
Bleiben Sie gesund.
Bis nächste Woche!
Ihre Petra Hedorfer