Opinion Post zur Zukunft von Geschäftsreisen
"Veranstaltungen sind Booster für Innovation und Kreativität"
Im Doppelinterview anlässlich der IMEX Frankfurt 2022 sprechen Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V., und Matthias Schultze, Geschäftsführer des GCB German Convention Bureau e.V., unter anderem über Nachhaltigkeit in der MICE-Branche, die Relevanz von Open Data und die Zukunft der Tagungsdestination Deutschland.
Frau Hedorfer, Herr Schultze, die MICE-Branche trifft sich aktuell nach zwei Jahren im virtuellen Raum erstmalig wieder in Präsenz zur IMEX in Frankfurt. Welche Erwartungshaltung verbinden Sie damit?
PETRA HEDORFER: Vor wenigen Wochen erst haben wir unseren Germany Travel Mart(TM), die größte Incoming-Veranstaltung für den Leisure-Bereich nach zweijähriger Verlegung in die Onlinewelt erstmals wieder in Präsenz durchgeführt. Das war ein starker Auftakt für den Restart des Reiselandes Deutschland.
Denn obwohl wir in den vergangenen Jahren die Schnelligkeit und Effizienz virtueller Veranstaltungen kennen- und schätzen gelernt haben, spüren wir ein starkes Bedürfnis nach persönlicher Begegnung, nach der Atmosphäre einer Veranstaltung, die sich im virtuellen Raum einfach nicht reproduzieren lässt.
Sowohl unsere Partner in der internationalen Reiseindustrie als auch im Deutschlandtourismus haben uns den hohen Stellenwert der persönlichen Kontakte bestätigt. Aus diesem Bedürfnis heraus hat sich ein starker pent up-demand entwickelt, der auch im Geschäftsreisesegment besteht.
Damit wird die IMEX auch zu einem besonders wichtigen und positiven Signal für die MICE-Branche. Corona hat in den vergangenen beiden Jahren die ökonomische Bedeutung des Tagungs- und Kongressstandortes Deutschland noch deutlicher erkennbar gemacht. Die bereits vor der Krise existierenden Game-Changer, wie technologische Innovationen – Stichwort virtual Meetings – aber auch die grüne Transformation bedeuten für die MICE-Branche ein New Normal.
Meine Erwartungshaltung für die IMEX 2022 richtet sich zum einen auf das Neukundengeschäft. First Timer sind in dem aktuell sehr dynamischen Geschäftsumfeld wichtig. Zum anderen geht es mir auch darum, dass wir das Megathema Nachhaltigkeit als essenziellen Bestandteil des Geschäftsreisemarktes der Zukunft wirkungsvoll adressieren. Bei diesem Transformationsprozess geht es mehr und mehr darum, Balancen zu finden: Es reicht nicht, virtuelle Formate als Substitut für physische Treffen zu deklarieren. Hybride Formate beispielsweise erhöhen die Reichweite von Veranstaltungen und bedienen zugleich die Notwendigkeit physischer Treffen. Mit Blick auf den CO2-Footprint brauchen wir eine Balance aus Effizienz und ökologischer Verantwortung.
MATTHIAS SCHULTZE: Der Markt für Business Events hat sich in den vergangenen zwei Jahren dynamisch verändert – quantitativ und qualitativ. Transformationsprozesse, die bereits vor der Pandemie begonnen haben, wurden massiv beschleunigt. Dieser Status Quo der Branche wird bei der IMEX Frankfurt, die dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert, gespiegelt. Als führender und nachhaltiger Tagungs- und Kongressstandort bietet Deutschland die idealen Bedingungen für zukunftsweisende Veranstaltungen – und genau das können wir mit allen relevanten Stakeholdern im Rahmen der IMEX diskutieren und den Blick nach vorne richten, auf Zukunftstrends und neue Perspektiven.
Corona bedeutete zunächst einen harten Cut für den internationalen Tourismus insgesamt, die MICE-Branche war besonders betroffen. Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?
PETRA HEDORFER: Bereits vor Ausbruch der Pandemie haben wir in der letzten Dekade einige signifikante Entwicklungen gesehen: Der Markt für traditionelle Geschäftsreisen tendierte rückläufig. Im Messegeschäft deuteten sich große Verschiebungen in Richtung fachbezogener Events mit einer umfangreichen wissenschaftlichen Begleitung an.
Der Lockdown wirkte wie ein großer Reset-Knopf für den gesamten Tourismus. Im ersten Krisenjahr 2020 waren Urlaubs- und Geschäftsreisen mit minus 67 bzw. minus 65 Prozent annähernd gleich schwer betroffen.
Im zweiten Corona-Jahr 2021 ist das Bild deutlich differenzierter, zumindest bei den Reisen aus Europa nach Deutschland: Während die Urlauber nach dem Ende des Lockdowns langsam wieder zurückkehrten (plus fünf Prozent), verzeichnete der Business Travel-Bereich weitere Rückgänge um zwölf Prozent.
Trotzdem ist es gelungen, dass Deutschland auch in der Krise seine Spitzenposition als Geschäftsreiseziel Nummer 1 der Europäer gehalten hat. Von den insgesamt 29,7 Millionen Business Trips der Europäer führten 2021 rund 4,4 Millionen nach Deutschland, Zweitplatzierter Frankreich kommt auf 2,4, Italien auf 2,3 Millionen.
Und die Prognosen für das Jahr 2022 sind grundsätzlich weiterhin positiv: Laut Studien von IPK International planen 23 Prozent der Befragten weltweit Geschäftsreisen ins Ausland. In Asien (38 Prozent) und Amerika (33 Prozent) sind die Geschäftsreiseabsichten nochmals deutlich stärker ausgeprägt als in Europa (14 Prozent) – ein weiterer Beleg für den pent up-demand.
MATTHIAS SCHULTZE: Das können wir anhand unserer Marktanalysen bestätigen: Der Ausblick in die Zukunft ist positiv. Aus unserem jüngsten Meeting- & EventBarometer wissen wir, dass Anbieter wie auch Veranstalter in den nächsten Jahren konstantes Wachstum erwarten, und zwar über alle Veranstaltungsformate hinweg – Präsenz, hybrid, virtuell.
Darüber hinaus wird die Transformation des Marktes von aktuellen Entwicklungen geprägt. In einer neuen Analyse im Auftrag des GCB zeigt Oxford Economics unter Berücksichtigung der Entwicklung der Corona-Pandemie, der Einschränkungen internationaler Lieferketten sowie des Krieges in der Ukraine drei unterschiedliche Prognosen auf. Gemäß dem mittleren „Baseline“-Szenario rechnen die Analysten auch hier bereits bis 2024 mit einer weitgehenden Erholung des Marktes in Bezug auf die Zahl der Veranstaltungsteilnehmer*innen.
Viele Experten hatten zu Beginn der Pandemie erklärt, ein erheblicher Teil des Geschäftsreisemarktes würde sich für immer im virtuellen Raum auflösen. Jetzt kommen die Business Traveller zurück. Wie hat sich in zweieinhalb Jahren unter Pandemiebedingungen die Nachfrage verändert?
MATTHIAS SCHULTZE: Die Art und Weise, wann und wie Menschen zusammenkommen, verändert sich seit einiger Zeit sehr stark. Großen Einfluss darauf haben unter anderem die Megatrends Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Arbeitswelten der Zukunft und Internationalisierung. Grundsätzlich bleiben Business Events jedoch auch in Zukunft ein relevantes Instrument im Kommunikationsmix von Organisationen, das zur Lösung komplexer Sachverhalte beitragen kann.
Das Meeting- & EventBarometer zeigt, dass die Zahl der Präsenzteilnehmer*innen bei Veranstaltungen im letzten Jahr wieder angestiegen ist. Verantwortlich dafür ist neben der reinen Präsenzteilnahme insbesondere der starke Anstieg derjenigen, die sich für die Vor-Ort-Teilnahme an hybriden Formaten entscheiden. Von allen 68,4 Mio. Menschen, die 2021 ein Business Event vor Ort besuchten, nahmen 50 Mio. an einer reinen Präsenzveranstaltung teil (2020: 60 Mio.), 18,4 Mio. (2020: 1,8 Mio.) an einem hybriden Format. Während die Zahl der Teilnehmer*innen an reinen Präsenzveranstaltungen pandemiebedingt leicht zurückging, erwiesen sich also hybride Formate, das heißt Präsenzveranstaltungen mit der Option zur Online-Teilnahme, als Treiber des Marktes. Wenn wir auf die Prognosen von Anbietern und Veranstaltern für die kommenden Jahre blicken, sehen wir, dass virtuelle Formate zwar weiterhin relevant bleiben, der Markt aber definitiv mit einem starken Comeback der persönlichen Begegnung bei Meetings, Tagungen und Kongressen rechnet.
Auch das Thema Sicherheit spielt hier im Übrigen eine große Rolle. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Bedürfnis der Menschen nach persönlicher Begegnung enorm groß ist, stehen Sicherheits- und Hygienekonzepte bei Dienstreisenden und Veranstaltungsteilnehmer*innen ganz oben auf der Agenda. Daher haben wir gemeinsam mit der DZT die Kampagne „#SafeBusinessTrips“ ins Leben gerufen. Die gleichnamige Plattform bietet umfangreiche und transparente Informationen von Anbietern entlang der gesamten Delegate Journey.
PETRA HEDORFER: Die Jahre unter Pandemiebedingungen haben Entwicklungen, die bereits vorher begonnen hatten, erheblich beschleunigt. Natürlich kommen auch traditionelle Geschäftsreisen wieder zurück, aber wir rechnen realistisch damit, dass virtuelle Alternativen dort, wo sie sich bewährt haben, den Markt stärker bestimmen werden.
Das ist übrigens ein sehr prägnantes Beispiel dafür, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit ineinandergreifen. Gerade im Business Travel-Bereich dürfte eine Rolle spielen, dass immer mehr Unternehmen ESG-Kriterien folgen und eine ständige Verbesserung ihrer eigenen Nachhaltigkeits-Performance anstreben. Das Travel Management der Zukunft wird künftig verstärkt den ökologischen Fußabdruck in unternehmerische Entscheidungen einbeziehen und die CO2-Emissionen mit einpreisen. Da werden auch Geschäftsreisen genauer betrachtet und neben der Kosten-Nutzen-Relation auch die ökologischen Auswirkungen einer Reise kritisch analysiert. Damit wird sich die MICE-Branche bei der Angebotsgestaltung auseinandersetzen müssen. Ökologische Beurteilung, Komfort, Servicequalität und Preis-Leistungs-Verhältnis müssen zur Nachfrage passend ausbalanciert werden.
Nachfrage wird ja auch durch neue innovative Angebote stimuliert. Wohin geht die Reise?
MATTHIAS SCHULTZE: Business Events der Zukunft werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst – darunter Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Mobilität, Veränderungen der Arbeitswelt oder politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Die zunehmende Ausdifferenzierung bei den Veranstaltungsformaten setzt zudem voraus, dass beide Welten – virtuell und analog – perfekt inszeniert, emotionalisiert und smart miteinander verbunden werden. Es gilt, die sehr unterschiedlichen Delegate Journeys von Online- und Offline-Teilnehmer*innen passgenau zu gestalten. Zudem sind Veranstaltungen künftig keine rein punktuellen Ereignisse, losgelöst von anderen Kommunikationsinstrumenten. Sie sind vielmehr Teil einer multisensorischen Omnichannel-Marketingstrategie von Organisationen. Veranstaltungen werden künftig in einer Art Eventschleife zirkulieren, um an 365 Tagen im Jahr eine entsprechende Community aufbauen und eine Marke somit konstant sichtbar machen zu können. Die Hybridisierung von Events vergrößert deren Reichweite potenziell enorm.
Für Destinationen ist Authentizität die neue Währung. Jede Region, jede Stadt, jede Location am Tagungs- und Kongressstandort Deutschland ist unverwechselbar. Die Stärke des Standorts liegt unter anderem in den vielfältigen Kompetenzen in Schlüsselbereichen von Wirtschaft und Wissenschaft begründet, aber auch in vielfältigen weiteren lokalen Besonderheiten. Diese herauszuarbeiten und daraus einzigartige Erlebniswelten mit lokalem Bezug abzuleiten, ist daher eine große Chance für Veranstalter, Dienstleister und Standortmarketing-Organisationen gleichermaßen.
Auch die Transformation der Arbeitswelt beeinflusst die Art und Weise, wie Menschen zusammenkommen. Entwicklungen im Bereich New Work, der stark gestiegene Anteil des Arbeitens im Homeoffice und weitere Remote-Modelle erhöhen den Bedarf nach persönlichem Austausch. Hier liegt enormes Potenzial für neue Veranstaltungsformate, beispielsweise um Teams innerhalb einer Organisation, die überwiegend remote arbeiten, in kreativer Atmosphäre zusammenzubringen.
Welche Rolle könnten promotable Geschäftsreisen im gesamten Kontext des internationalen Tourismus künftig oder im Kontext verschiedener Formate der Live-Kommunikation spielen?
PETRA HEDORFER: Dass klassische Verabredungen zu Meeting-Terminen leicht durch digitale Alternativen ersetzt werden können, haben wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt. Trotzdem bleibt auch hier das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt – die Spontanität der Begegnung, das unerwartete Zusammentreffen auf einer Veranstaltung, die Interaktion innerhalb einer Veranstaltung sind Booster für Innovation und Kreativität.
Diese wiederum ist in vielen Bereichen immer wichtiger – ein Prozess, der mit dem gesamten Thema New Work zusammengeht: Agiles Management, neue Formen der Teamarbeit, Telearbeit, Homeoffice. Für die Auswahl von Standorten für Business Events werden dann auch die Möglichkeiten für Anschlussreisen relevant.
Remote Work ermöglicht theoretisch eine vollständige Entkopplung von der Präsenz am Arbeitsplatz. Das wiederum führt zu einer neuen Gewichtung von Business, privaten Verpflichtungen und Leisure – oft sind die Grenzen fließend. Zugleich gewinnt gerade im Kontext der veränderten Arbeitswelt Live-Kommunikation eine ganz neue Bedeutung. Bei Workshops, Seminaren, Trainings etc. kulminiert das Teambuilding, das dann wieder motivierend über die nächste „Remote-Phase“ trägt.
Es besteht gesellschaftlicher Konsens, dass Tourismus nachhaltiger werden muss. Vor die Wahl gestellt, entscheidet sich der Kunde jedoch meist für das wirtschaftlichste Angebot. Sehen Sie eine Verpflichtung der MICE-Branche, ihr Angebot so zu steuern, dass sich der Kunde für die nachhaltige Alternative entscheidet?
PETRA HEDORFER: Diese Verpflichtung besteht ganz klar. Einerseits sind wir als Standort unter Nachhaltigkeitsaspekten gut aufgestellt. Im SDG-Index, der die Erreichung der UN-Klimaziele abbildet, belegen wir 2021 den 4. Platz unter den verglichenen UNO-Mitgliedsstaaten.
Trotzdem bewegen wir uns weiter in dem Zielkonflikt, ökonomische, soziale und ökologische Faktoren auszubalancieren.
Die im Koalitionsvertrag definierten politischen Ziele der Bundesregierung geben uns hier klare Leitlinien. Die Aufgabe, den Tourismusstandort Deutschland nach der Corona-Krise nachhaltig, klimafreundlich, sozial gerecht und innovativ zu gestalten, gilt für alle Akteure der Branche.
Das matcht übrigens auch unsere zentrale Markenbotschaft. Germany simply inspiring steht im Leisure- ebenso wie im Business Travel-Bereich für Nachhaltigkeit ebenso wie für die spontane Begegnung, für die persönliche Atmosphäre, die Inspiration im realen Raum, für Glaubwürdigkeit und Verantwortung.
Auf promotable Geschäftsreisen übertragen heißt das, die Möglichkeit der Verknüpfung von Business und Leisure aktiv anzubieten, Pre- und Post Days in die Eventprogramme zu integrieren, Anschlussreisen zu promoten und damit auch eine längere Aufenthaltsdauer zu fördern.
Wir alle wissen: Internationale Reisen sind wichtig, um Fortschritt, Völkerverständigung und Verständnis der Kulturen zu fördern, sie sind der Schlüssel zu wirtschaftlicher Prosperität und essenziell für den Wissens-Transfer. Auf der anderen Seite wird durch Reisen auch CO2 emittiert. Unsere Ansprüche an Werthaltigkeit funktionieren nur im ausbalancierten Zusammenspiel mit Verantwortungsbewusstsein. Wenn wir als Branche belastbare und glaubwürdige nachhaltige Angebote machen, können wir die Nachfrage stärken und leisten zugleich einen Beitrag zum Klimaschutz und damit zur Imageförderung am Standort Deutschland.
Die MICE-Branche hat bereits viele Hausaufgaben gemacht. Das wird an zahlreichen Best Practices deutlich, beispielsweise bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder die Zertifizierung von Green Meetings durch Green Note. An dieser Stelle leistet die Branche insgesamt heute schon einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Und wir sind mit der Umsetzung des GTM als Green Event auch mit gutem Beispiel vorangegangen.
MATTHIAS SCHULTZE: Der Tagungsstandort Deutschland treibt das Thema Nachhaltigkeit an unterschiedlichen Stellen aktiv voran. Bereits 2012 hat das GCB den Nachhaltigkeitskodex „fairpflichtet“ ins Leben gerufen. Dieser ist eine freiwillige Selbstverpflichtung zur unternehmerischen Verantwortung im Bereich Corporate Social Responsibility bei der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen. Mit der Unterzeichnung des Kodex verpflichten sich die Unternehmen zur Einhaltung der Leitlinien, die Nachhaltigkeit als unternehmerische Verantwortung mit all ihren Konsequenzen definieren. Die zugrundeliegenden Kriterien sind an die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen angelehnt. Darüber hinaus bieten wir die Weiterbildung zum/zur Nachhaltigkeitsberater*in an – bis heute haben daran knapp 800 Event Professionals teilgenommen, um anschließend nachhaltige Events konsequent in ihren Organisationen umsetzen zu können.
Zahlreiche Akteure, darunter das GCB, haben sich zudem der Ende letzten Jahres gestarteten Initiative „Net Zero Carbon Events“ als Unterstützer angeschlossen. Die Initiative steht unter der Schirmherrschaft des JMIC (Joint Meetings Industry Council) und will die weltweite Zusammenarbeit der Veranstaltungsindustrie vorantreiben, um die Herausforderungen des globalen Klimawandels gemeinsam anzunehmen und zu bewältigen.
Digitale Transformation ist heute schon prägend für die gesamte Wertschöpfungskette und damit auch die Customer Journey – von der Inspiration, der Destinationswahl über Veranstaltungsorganisation bis zur Kommunikation während einer Veranstaltung. Wo sehen Sie die nächsten großen Herausforderungen?
MATTHIAS SCHULTZE: Digitale Plattformen sind der Schlüssel, um Angebot und Nachfrage künftig passgenau zusammenzubringen. Hier liegt großes Potenzial, innovative Formate und neue Geschäftsmodelle zu etablieren, die den Kund*innen signifikante Mehrwerte bieten. Das beginnt mit konsequentem Data Management und Data Profiling, um Abfragen und Buchungsprozesse zu standardisieren und zu vereinfachen und reicht bis hin zu einem „Smart Meeting Assistant“ (SMA), den wir in unserer Studie zur Plattformökonomie als langfristiges Zukunftsszenario identifiziert haben. Getrieben von hoch entwickelter KI könnte dieser SMA die Kund*innen über ihre komplette Customer Journey hinweg begleiten – von der ersten Anfrage bis zur Evaluation des Events im Nachgang. Diese und andere Tools dienen letztlich als Hilfestellung und schaffen Freiräume, um sich auf die im besten Wortsinne menschlichen Stärken der Veranstaltungswelt zu konzentrieren.
Welche Rolle kann in diesem Zusammenhang das Thema Open Data spielen?
PETRA HEDORFER: Open Data – semantisch strukturierte maschinenlesbare Daten innerhalb eines Knowledge Graphen – sind ein Meilenstein für die Sichtbarkeit und Vermarktung der Angebote am Standort Deutschland auf globalen Plattformen. Die DZT koordiniert mit ihren Partnern im Deutschlandtourismus die Entwicklung eines gemeinsamen Knowledge Graphen für die deutsche Tourismuswirtschaft.
Wir sind mit dem Projekt schon weit vorangekommen – im Sommer wird der Rollout erfolgen. Durch die Anbindung beispielsweise von ÖPNV-Daten können wir die ambitionierten Projekte zur Besucherlenkung und zum Management von Besucherströmen nachhaltig gezielt weiter vorantreiben. Der Knowledge Graph ermöglicht die Entwicklung und Implementierung von zusätzlichen KI-Anwendungen und öffnet Perspektiven für Start up-Unternehmen.
MATTHIAS SCHULTZE: Hier sehen wir große Chancen auch für Business Events. Gemeinsam mit der DZT führt das GCB daher derzeit eine detaillierte Analyse durch, wie das Open-Data-Projekt auf den Tagungsstandort übertragen und für alle Akteure einen echten Mehrwert für die Gewinnung künftiger Marktanteile schaffen kann.
Wie sehen Sie Deutschland derzeit im internationalen Wettbewerb aufgestellt? Gibt es globale Player, die uns den Rang ablaufen oder ist die quantitative Top-Position Deutschlands als MICE-Destination auch qualitativ gesichert?
PETRA HEDORFER: Die langjährige Top-Position für Deutschland als MICE-Destination resultiert aus der traditionellen Verbindung des Industriestandortes plus wissenschaftlicher Kompetenzcluster plus Infrastruktur plus geostrategische Lage im Herzen Europas. Aber wir haben in den vergangenen beiden Jahren erlebt, wie rasend schnell sich die Prämissen ändern können.
Die Digitale Transformation ist sicher eine große Chance für die MICE-Industrie der Zukunft. Sie bietet auch Chancen für Deutschland ebenso wie für andere Destinationen, das heißt, der Wettbewerb wird stärker. Um weiter mit Innovationen an der Spitze zu stehen, brauchen wir Ideen und Infrastruktur – ohne flächendeckende Breitbandversorgung und 5 G-Standard in den Locations verlieren wir schnell den Anschluss. In dieser Komplexität liegen auch die Chancen, uns als Wirtschaftsstandort und Innovationszentrum zu profilieren.
MATTHIAS SCHULTZE: Die Stärken, die den Tagungsstandort Deutschland zur weltweiten Top-Destination gemacht haben, gilt es weiter auszubauen. Neben den bereits genannten Faktoren – Infrastruktur, Preis-Leistung, Innovationskraft und Branchenkompetenzen – gehört dazu sicher auch die Fähigkeit, agil und flexibel auf sich stetig wandelnde Rahmenbedingungen reagieren zu können: In der VUCA-Welt mit komplexen Herausforderungen wird es nicht die eine Zukunft geben. Im Innovationsverbund „Future Meeting Space“ haben wir jüngst drei Zukunftsszenarien herausgearbeitet, in denen Faktoren wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Sicherheit eine jeweils sehr unterschiedliche Rolle für unsere Lebens- und Arbeitswelt spielen. Daher heißt es auch bei Business Events, in Szenarien zu denken. Während sich die einen maximal flexible Remote-Angebote wünschen, bevorzugen andere den persönlichen Draht in authentischer Umgebung. Diese gewandelten Kundenanforderungen gilt es künftig noch differenzierter zu betrachten und entsprechende Angebote zu schaffen. Der Tagungs- und Kongressstandort Deutschland ist auf die Vielfalt der Nachfrage mit seinem ebenso vielfältigen Angebot bestens eingestellt.
Zurück zur IMEX: Auf der größten Branchenveranstaltung sind die meisten Aussteller Destinationen, Unternehmen aus Hospitality, Mobility und Veranstaltungszentren. Wird sich das Profil der IMEX ändern – Wie wird im New Normal die Vermarktung Deutschlands als MICE-Destination funktionieren?
PETRA HEDORFER: Die IMEX ist für uns ein Indikator für das internationale MICE-Business. Das GCB treibt die Mission der IMEX auch unterjährig mit innovativen Formaten voran.
Grundlage der Vermarktung Deutschlands als MICE-Destination der Zukunft ist unsere strategische Partnerschaft von DZT und GCB. Wenn die Zukunft der Business-Veranstaltungen immer mehr auf Kollaboration beruht, gilt das natürlich auch für die Akteure. Dazu zählt die weltweite Präsenz der DZT, die auch den Aktionsradius des GCB erweitert. Das GCB wiederum bietet im Zusammenspiel mit den Partnern wertvolle Impulse für die künftigen Strukturen im MICE-Geschäft.
Aus dieser engen Abstimmung heraus positionieren wir heute schon Deutschland als Vorreiter im Bereich nachhaltiger Business Events, und wir besetzen und entwickeln federführend unsere Kompetenz als Wissenscluster der MICE-Branche im internationalen Wettbewerb.
Kurz: Unsere großen Themen – Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Kollaboration und Internationalisierung – spiegeln sich in der Weiterentwicklung der imex und bilden die globalen Trends der Branche ab.
MATTHIAS SCHULTZE: Die IMEX zeigt, wie die Balance aus klassischem Messegeschäft und innovativer Wissensvernetzung funktionieren kann. Im Deutschlandbereich – am Deutschlandstand F100 und auf den Freiflächen – sind in diesem Jahr über 160 Aussteller vertreten. Nachdem die Veranstaltung pandemie-bedingt zweimal abgesagt werden musste, spüren wir ein enormes Bedürfnis nach persönlicher Begegnung. Ergänzt wird der klassische Messebetrieb durch zahlreiche Vorträge im Communication Cube am Deutschlandstand, der eine weitere Stärke von Business Events ausspielt: Lernen, Wissensaustausch und neue Impulse. Schließlich sorgen sowohl direkter Dialog zwischen Anbietern und Kund*innen als auch das umfangreiche Rahmenprogramm der IMEX dafür, dass alte Netzwerke neu gestärkt und neue Netzwerke geknüpft werden können.
Mit Blick in die Zukunft gilt es, die Bedürfnisse der Kund*innen noch konsequenter in den Mittelpunkt zu rücken – von Nachhaltigkeit über Sicherheit bis hin zum Wunsch nach authentischen, emotionalen Erlebnissen. In einem fluiden Umfeld differenzieren sich diese Bedürfnisse immer weiter aus. Wer darauf agil und mit einem individuell zugeschnittenen Leistungsangebot reagiert, bleibt nachhaltig im Kopf und positioniert sich an der Spitze eines dynamischen Wettbewerbs. Die Schaffung sowohl digitaler als auch analoger Angebote – und optional deren smarte Verknüpfung – ist dabei der Schlüssel für erfolgreiche Business Events der Zukunft.