Städte & Kultur
Shoppen bis der Zug kommt: Einkaufsbahnhöfe
Kein Warten am zugigen Gleis mehr: Deutschlands Bahnhöfe haben sich zu Einkaufsparadiesen, Schlemmeroasen und Flaniermeilen gemausert. Proviant und Lesestoff für die Reise gibt es natürlich auch noch.
Wir schreiben das Jahr 1997. Alle Bahnhöfe sind nur Bahnhöfe? Nein, das sowieso nicht. Aber in Leipzig schickt man sich an, eine kleine Bahnhofsrevolution loszutreten: Die Zugstation der Sachsen-Metropole wird gut 100 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme wiedereröffnet, als „Promenaden Hauptbahnhof“. Als eines der schönsten Einkaufszentren Deutschlands mit vielfacher Zuganbindung für Reisen nach Nah und Fern – mit 142 Geschäften verteilt auf drei Ebenen im größten Kopfbahnhof Europas.
Mittlerweile haben die großen Bahnhöfe der Republik nachgezogen. Dutzende Shops und Restaurants gibt es auch in Frankfurt am Main und München. Oder Hamburg und Berlin – vor allem auch die Bahnhöfe der beiden größten deutschen Städte zählen zu den wichtigsten Einkaufsbahnhöfen Europas. Nur ein- oder umsteigen, das war gestern.
Shopping vor der Zugfahrt
Egal in welcher der Bahnmetropolen: Vor Ort kann man es sich nicht mehr vorstellen, das althergebrachte Bild des wartenden Passagiers, der mit aufgestelltem Kragen und hochgezogenen Schultern, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben auf einem zugigen Gleis bei Nebel im diffusen Laternenlicht zittert. Nein, heute genießt man die Zeit, bevor es ins Abteil geht. Warum nicht 'nen Stündchen vor Abfahrt zum Bahnhof aufmachen und shoppen oder fein was essen?
Ein neues Paar Schuhe? Schließlich geht die Zugfahrt zur Familienfeier, es wird geheiratet. Oder noch mal in einem gehobenen Restaurant einkehren, bevor die Heimreise nach dem Business-Trip oder dem Privaturlaub ansteht? Die Möglichkeit dazu bestünde, denn die Einkaufsbahnhöfe sind auch Schlemmerbahnhöfe. Hier gibt es neben Fastfood auch die Bratwurst vom fliegenden Grillmeister. Eine deutsche Spezialität, vor allem, wenn sie aus den Bratwursthochburgen Thüringen oder Nürnberg kommt.
Fahrradhandel, Apotheke und Friseur am Bahnhof
Allein in Leipzigs Kopfbahnhof, einst vor über 100 Jahren im Stil von Moderne und Jugendstil erbaut und an sich eine Sehenswürdigkeit, sind knapp 30 Restaurants – bodenständig bis feine Küche – untergebracht. Für jeden Geschmack ist etwas dabei, hier stimmt die Plattitüde noch! Zu den Selbstverständlichkeiten für manch hektisch angetretene Reise zählt natürlich Fast Food von Pommes, über Sandwiches bis Burger und allerlei Snacks für "auf die Hand".
Aber wer etwa vor Abfahrt des IC nach Köln Hbf noch etwas Luft hat, kann sich im italienischen Bistro bei Pizza und Pasta auch niederlassen, im indischen Restaurant Masala speisen, im asiatischen Restaurant schlemmen. Es gibt Backtheken, eine Bierbar, eine Eismanufaktur, ein Fleischereibistro.
Kein Bahnhof Deutschlands bietet mehr Einkaufsoptionen, 85 Shops sind es in Leipzig: Supermärkte, Bioläden, Buch- und Zeitschriftenhandel, Friseur, Drogerie, Autovermietung, Banken, ein Reformhaus, eine Apotheke und viele andere mehr.
Deutschlands Einkaufsbahnhöfe europäische Spitze
Und doch ist Leipzigs Flanierbahnhof auch stellvertretend für die anderen deutschen Einkaufsbahnhöfe, die im europaweiten Vergleich in Sachen Passagierkomfort, Barrierefreiheit, Vielfalt beim Shopping sowie den örtlichen und überregionalen Bahn- und Busverbindungen vorbildlich abschneiden. Laut dem Railway Station Index 2020 der Verbraucherschutz-Organisation Consumer Choice Center landeten gleich fünf deutsche Bahnhöfe in den Top-Ten: Leipzig (Platz 3), München (5), Hamburg (6), Berlin (6), Frankfurt/Main (9).
Den bundesweiten Spitzenwert bei den Passagierzahlen markiert der Hamburger Hauptbahnhof. Das einst 1906 als Durchgangsbahnhof eröffnete Gebäude zählt zu den höchstfrequentierten Bahnhöfen Europas. Auch hier ist das Angebot zum Shoppen und Schlemmen überbordend. 75 Geschäften sind es, darunter auch eine Konfiserie mit feinem Süßen, hinzu kommen 17 Restaurants. Die wiederaufgebaute historische Wandelhalle ist heute eine Kombination aus Einkaufsmekka und Bahnhofshalle.
Vor der Fahrt Obst vom Tresen einkaufen
Auch im bekanntesten Bahnhofsneubau der Republik bleiben keine Kundenwünsche mehr offen: Berlins, nach Plänen von Meinhard von Gerkan erbauter Hauptbahnhof. 2006 wurde das von einem 320 Meter langen und bis zu 46 Meter hohen Korbbogen-Glasdach überspannte Bauwerk in der Nähe von Reichstag und Brandenburger Tor eröffnet. Es gilt als größter Turmbahnhof mit übereinanderliegenden Gleisebenen, auf denen 33 Shops und 30 Gastro-Betriebe untergebracht sind.
Auch hier gibt’s sprichwörtlich „alles" – von Tabakwaren und Sportware über Dessous, Blumen, Kontaktlinsen, Coffee-to-go und frischem Obst vom Tresen bis zur – eine Selbstverständlichkeit – Berliner Currywurst und dem Döner, von dem die Hauptstädter überzeugt sind, er sei eine Berliner Erfindung.
Snacks und genügend Lesestoff für lange Zugreisen sowie Dinge des täglichen und weniger alltäglichen Bedarfs, aber auch Souvenirs können Sie praktisch an jedem Bahnhof kaufen, ob in Bremen, Hannover, Darmstadt, Dresden, Freiburg, Heidelberg, Kiel oder Stuttgart. Ungewöhnlich groß ist das Angebot auch an den Hauptbahnhöfen in Frankfurt und München. In der Bayernmetropole ist in einem Flügel des Bahnhofsgebäudes sogar ein Museum untergebracht – das Kinder- und Jugendmuseum München.
Shopping rund um die Uhr
Deutschlands Einkaufsbahnhöfe sprechen als Shopping- und Schlemmerparadiese längst weit mehr Menschen an als nur die Bus- Bahn- und Zugreisenden oder Berufspendler. Zum Einkaufen haben sie längst auch Anwohner und Ortsansässige entdeckt, denn viele der Geschäfte haben sieben Tage die Woche geöffnet, manche sogar rund um die Uhr. Schließlich gilt auch am Gleis: Der Kunde ist König.